Projektreise nach Rumänien – Teil 2: Besuche bei Familien

Am Tag nach unserer Ankunft lernen wir Răducăneni kennen und besuchen gemeinsam mit Sr. Patrizia und Sr. Ansila einige Familien. An diesem Tag ist schulfrei und Sr. Ansila möchte die Kinder, die wir treffen werden, zum Kochworkshop am Nachmittag einladen.

Die Straßen und Wege sind noch sehr feucht und voller Schlamm. Die Hagelschäden an Häusern und in der Landwirtschaft machen den Menschen große Sorgen.

Unser Weg führt uns weg von der Hauptstraße an die Ränder des Dorfes. Die Straßen sind nicht mehr asphaltiert, Autos werden seltener, Pferdefuhrwerke begegnen uns auf unserem Weg, Hunde laufen ihnen hinterher. In nahezu allen Gärten blühen Blumen. Viele Obstbäume und Weinstöcke sind zu sehen. Die Kirschen sind reif.

Sr. Patrizia besucht die Familien, die wir heute kennenlernen werden, regelmäßig und kennt ihre Nöte und Sorgen. Heute lässt sie uns ein wenig teilhaben. Wir besuchen einen alleinerziehenden Vater mit zwei Töchtern, ca. 10 und 6 Jahre alt. Die Mutter hat Arbeit im Ausland bekommen, hat die Familie verlassen und ist im Ausland geblieben. Die Mädchen umarmen Sr. Ansila sofort und jede bekommt einen Schokoriegel geschenkt. Heute kommen sie nicht zum Kochworkshop, denn Papa ist heute auch zu Hause und kocht für die Mädchen. Darüber freuen sie sich.

Unser Weg führt uns weiter am Spielplatz und Kindergarten vorbei. Der Himmel ist wieder wolkenlos, die Sonne scheint, es ist sehr heiß.

Răducăneni ist ein sehr großes Dorf mit vielen kleinen und einfachen Häusern, dazwischen gibt es auch große und schöne, aber oft leerstehende Häuser. Viele Paare haben lange getrennt voneinander im Ausland gearbeitet, um sich den Traum vom eigenen Haus erfüllen zu können, haben sich dabei entfremdet, getrennt, sind dann im Ausland geblieben.

So fehlen Eltern in Răducăneni und die Kinder werden bei den Großeltern gelassen oder müssen selbst zurechtkommen. Die Eltern arbeiten als Erntehelfer:innen, Haushaltshilfen oder in der 24 Stunden Pflege, etc. irgendwo in Europa und werden in den Familien, im Dorf, am Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft im eigenen Land vermisst. Das ist stark bemerkbar. Großmütter, oft selbst gesundheitlich angeschlagen, müssen einspringen und die Kinder versorgen. Betriebe und Familien in Europa profitieren von der preiswerten Arbeitskraft aus Rumänien. In den rumänischen Familien wird das Einkommen dringend gebraucht, doch der Preis dafür ist die Abwesenheit der Eltern und diesen bezahlen vor allem die Kinder.

Soziale Not führt oft zu Alkoholsucht. Das ist in Rumänien ein großes Problem, besonders in den Familien, die ohnehin in Armut leben. Jede Familie besitzt ein paar Reben und Obstbäume, es wird viel Schnaps gebrannt, …

Die zweite Familie, die wir besuchen, bittet uns in ihren Garten. Beide Elternteile haben ein Alkoholproblem. Die Kinder wirken auf mich sehr klein und zart. Der Mann scheint keiner Arbeit nachzugehen und trinkt, lässt dann die Aggressionen abends an seiner Frau aus, die auch trinkt, um das zu ertragen. Sie wirkt auf mich gebrochen, betäubt, leer …  Wir bleiben ein wenig im Garten. Zum Abschied bekommen wir einen Sack Kirschen geschenkt, als Dank für unseren Besuch und als Zeichen der Wertschätzung für die Besuche der Schwestern und die Arbeit mit den Kindern im Lernzentrum.

In den nächsten drei Familien, die wir auf unserem Spaziergang besuchen, kümmern sich die Großmütter um die Kinder, trotz eigener gesundheitlicher Probleme und großer Armut. Alle freuen sich über unseren Besuch und schenken uns schöne weiße Lilien aus dem Garten.

Diese weißen Lilien wachsen hier in jedem Garten, wie auch wunderschöne Rosen und Kirschbäume. Das Fest des hl. Antonius ist in ein paar Tagen. An diesem Festtag bringen die Leute diese Lilien in die Kirchen und die Kinder werden gesegnet.

Alle Kinder laufen zu Sr. Ansila, umarmen sie und bekommen einen Schokoriegel und eine Einladung zum Kochen am Nachmittag. Beschenkt mit Blumen und Kirschen gehen wir doch sehr nachdenklich bei großer Hitze nach Hause: die Lebenssituation der Familien, die Probleme, mit denen sie zurechtkommen müssen und zusätzlich noch das gestrige Unwetter, das auch noch die Ernte beschädigt oder zerstört hat, … Das ist zwar nicht gänzlich neu für mich, weil ich ähnliches aus den Berichten der Schwestern kenne, aber dies selbst so unmittelbar zu erfahren, die Menschen persönlich zu treffen, ihre Gastfreundschaft in ihren Gärten und Häusern zu erleben, das geht mir nahe.

Am Rückweg trifft Sr. Patrizia noch eine alte Dame, für die sie eine Dose mit guter Kräutersalbe mithat. Die Frau freut sich sehr.

So bekomme ich an diesem Tag in Răducăneni einen ersten Eindruck, wie wichtig der Einsatz der Schwestern ist, ihr Mitleben und Anteil nehmen. Dabei ist das nur ein Teilbereich ihrer Tätigkeiten. Am Nachmittag und Abend besuchen wir die Schwestern bei ihrer Arbeit im Casa Nazaret.

Barbara