2. Rundbrief von Sr. Christina aus Kuba

Liebe Familie, Freund:innen, Bekannte, und liebe ALLE, die ihr an der missionarischen Präsenz der Steyler Familie in Kuba Interesse habt!

Ja, es hat lange gedauert. Mehr als 1 Jahr nach meinem ersten Rundbrief aus Kuba erreicht euch nun der zweite. Es war ein Jahr mit vielen neuen Erlebnissen, erfrischenden Erfahrungen, Sprachelernen, heraufordernden Erkenntnissen und oft auch mit Fragen und dem Bewusstwerden, dass ich viele Dinge einfach (noch) nicht verstehen kann. Die Situation, in der sich das Land im Moment befindet ist einzig-artig kompliziert und, jedenfalls aus meiner Sicht, mit keinem anderen Land vergleichbar. Ich bin überzeugt, dass es aus jedem Land mit seiner Kultur und Geschichte Schönes und Schwieriges zu berichten gibt. Mehrere Sichtweisen aufzuzeigen liegt mir am Herzen; meine Sichtweise ist eine von vielen. So lade ich euch zu einem recorrido, einer Reise durch mein vergangenes Jahr in Kuba ein. Ich versuche in einem Schnelldurchlauf die wichtigsten Stationen, Weggabelungen, Rastplätze und mitunter auch die anstrengenden Steigungen dieser Reise mit euch teilen:

Im APRIL hatten wir unsere Exerzitien und das Regionalkapitel in Peñalver, in einem Haus der Salesianerinnen in der Nähe von Havanna. Die Exerzitien waren gesegnete Tage, in denen wir die Gegenwart Gottes in unseren Herzen und im Miteinander unter den Schwestern spüren durften. Beim Regionalkapitel, dem „Entscheidungsgremium“ für uns Schwestern in der Region Kuba haben wir uns vom Heiligen Geist leiten lassen und wichtige Entscheidungen für die Zukunft getroffen.

Nach diesen wichtigen Ereignissen habe ich mich auf den Weg zu meinem eigentlichen Bestimmungsort gemacht. Seit Ende April 2024 bin ich nun in ein Dorf namens Nicaro im Osten der Insel. Die Gemeinschaft hier besteht aus 3 Steyler Schwestern aus 3 verschiedenen Ländern. Momentan lebe ich mit einer Mitschwester aus Indonesien und einer aus Korea, wobei die Letztere gerade auf Heimaturlaub ist. Unser Haus ist recht groß, wir haben einen großen patio (Hof und Garten) mit vielen Bananen- und Papayabäumen, mit Blumen und mittendrin haben wir auch Hühner und unseren geliebten Guardian, unseren Wachhund, der in der Nacht gut auf uns alle aufpasst. In unserem großen Haus gibt es immer viel zu tun: neben kochen und putzen haben wir immer viele Gäste, die „einfach so zum Reden kommen“. Ja, das Zuhören ist eines unserer grundlegendsten Apostolate hier: die tagtäglichen Sorgen der Leute anhören, mitfühlen, um Transformation/ Veränderung und Verbesserung ihrer Situation beten.

Um die Sorgen und Nöte der Menschen zu verstehen, gilt es die Sprache bestmöglich zu lernen. Deshalb hatte ich auch von April bis November 2024 einen intensiven Spanischkurs, um tiefer in die Sprache einzutauchen. Eine Spezialität hier sind die sogenannten Cubanismos, Wörter die es nur in Kuba gibt bzw. Wörter die hier „erfunden wurden“. Eine weitere sprachliche Herausforderung für uns extranjeras (Ausländer:innen) ist, dass die Kubaner:innen oft bzw. fast immer den Buchstaben „s“ nicht aussprechen (ellos comen el „s“). Oft denke ich dann an die tröstenden Worte von Josef Freinademetz, Die einzige Sprache, die alle Menschen verstehen, ist die Sprache der Liebe.

Schritt für Schritt habe ich in diesem Jahr auch die verschiedenen Arbeitsfelder der Schwestern kennengelernt, die alle im sozialpastoralen Bereich zu finden sind: Ich war mit Kindern und Jugendlichen bei nachösterlichen Treffen, die von der Diözese Holguín-Las Tunas veranstaltet wurden. Ich habe bei einem Biobauernhof gesehen, wie die Ananas wächst, bevor sie in die Dose kommt.
Und ich staune immer wieder über den Reichtum, den die Patcha Mama, unsere Mutter Erde uns hier bietet: Eine große Vielfalt an Früchten, von Mango bis Guava, Sternfrucht bis zu Avocados und Bananen in unterschiedlichen Farben und Größen. Wir ernten aus dem eigenen Garten auch Bohnen, Ampalaya und Süßkartoffeln. Von den Gaumenfreuden komme ich nun zu geistiger Nahrung, spiritueller Stärkung.

Ein Höhepunkt war der Besuch des Marienheiligtums Cobre mit meinen Mitschwestern im Mai. Eine Marienstatue, die sogenannte Virgencita del Cobre, eint die Kubaner:innen. Gläubige aller Denominationen pilgern zu ihr, vertrauen ihr ihre Sorgen und Nöte an und bitten sie um Schutz und Hilfe. Wir haben diesen Gemeinschaftsausflug als Abschiedsgeschenk für eine Mitschwester gemacht, die von Kuba aus zu ihrer neuen Mission nach Mozambique aufgebrochen ist. Das ist auch eine Realität unseres Lebens in einer internationalen Missionskongregation. Siempre hay cambios, es gibt immer wieder Wechsel und viel Bewegungen auch unter den Schwestern.

Seit Beginn unserer Präsenz in Kuba vor mehr als 25 Jahren sind wir Dienerinnen des Heiligen Geistes (Steyler Missionsschwestern) konstant in der catequesis (Vorbereitung auf die Sakramente) tätig. Ich bin dabei keine Ausnahme. Mit den Kindern hier in Nicaro treffe ich mich jeden Samstag Nachmittag für eine Stunde, um über unseren Glauben zu sprechen und darüber was er mit unserem Leben zu tun hat. In Österreich sprechen wir viel von Säkularisierung, in Kuba erlebe ich sie ganz konkret.

Viele Kinder kommen einfach mal so zur Katechese vorbei, haben aber oftmals noch nie etwas von Glauben oder Gott gehört. So kann es sein, dass ich einmal 20 Kindern in der Gruppe habe und in der nächsten Woche kommen dann nur drei Kinder. Das Problem ist in vielen Fällen, dass auch die Eltern dieser Kinder keinen Bezug zum Glauben haben. Manchmal ist es noch der Großmutter geschuldet, dass das Kind als Baby getauft wurde. Aber oft haben die Kinder dann bis zum Alter von 7 oder 8 Jahren die Kirche nicht mehr von innen gesehen.

Neben den Kindern habe ich von einer Schwester sozusagen auch die Gruppe der Erwachsenen „geerbt“, die sich auch auf die Taufe bzw. die erste Kommunion vorbereiten. Es ist eine gänzlich neue Erfahrung für mich und ich lerne auch viel Neues dazu, v. a. wie ich von meinem eigenen Glauben Zeugnis geben kann, damit diese Erwachsenen auf dem Weg in ihrer Christusnachfolge auch davon profitieren können.

Die Vernetzung in unserer Diözese Holguín-Las Tunas ist sehr stark ausgeprägt. V. a. die Kooperation mit anderen Ordensleuten empfinde ich als großen Schatz. Natürlich schätze ich auch die Zusammenarbeit mit unseren Steyler Mitbrüdern sehr. Nicaro gehört zur Pfarre Mayari und wenn unsere beiden Mitbrüder (aus der Slowakei und Indonesien) nicht zur sonntäglichen Messe kommen können, bereiten meine Mitschwester und ich in Nicaro und in den umliegenden Gemeinden Wortgottesdienste (Celebraciones de la Palabra) mit Kommunionspendung vor.

Eine andere Aufgabe ist mir auch schon sehr ans Herz gewachsen:
Ich darf in Nicaro die Gruppe Asociación Misionera del Espíritu Santo (AMES) begleiten. Diese „Missionarische Heiliggeist-Gemeinschaft“ besteht zum großen Teil aus älteren Damen und ein paar jüngeren Herrn, die einen weiten missionarischen Geist besitzen und uns SSpS im missionarischen Wirken hier in Kuba stark unterstützen. Bei einem Wortgottesdienst gemeinsam mit einigen Mitgliedern von AMES durfte ich heuer zu Beginn der Fastenzeit auch das Aschenkreuz spenden.

Qué más? Was kann ich sonst noch berichten? Besonderheiten des Landes und aktuelle Herausforderungen/Schwierigkeiten.

Neben dem täglichen Einkauf mit der libreta in den bodegas gibt es auch die Möglichkeit bei den kleinen particulares (kleine Geschäfte, die sich oft in den Hauseingängen befinden) einzukaufen. Die tiendas sind eine dritte Möglichkeit des Einkaufs. Verschiedene nebeneinander existierende Währungen machen aber den Einkauf der Produkte oft recht kompliziert und Ahora los precios están en las nubes – Die Preise für Lebensmittel sind für die Leute oft schwindelerregend hoch und nur schwer leistbar. Die Kubaner:innen lieben es Fleisch zu essen und auch Reis steht ganz oben auf der Wunschliste. Aber mit dem Durchschnittslohn bzw. der Höhe der Pensionen hier bleiben diese Nahrungsmittel für viele Menschen oft nur Wünsche und sie müssen sich nach Initiativen umsehen.

In meinem ersten Rundbrief habe ich vom Comedor in Havanna berichtet. Mittlerweile haben wir auch in Nicaro mit einem eigenen Comedor begonnen. In Kuba gibt es ein Sprichwort: La salud entre por la boca! (frei übersetzt: Gesundheit ist was in den Mund hineinkommt!) Seit Ende Jänner dieses Jahres kochen wir bei uns 2 Mal die Woche für bedürftige Menschen der Umgebung ein Mittagessen. Das ist für uns Schwestern eine sehr schöne, aber auch herausfordernde Aufgabe, weil es nicht immer einfach ist die nötigen Nahrungsmittel für eine solche Menge an Personen zu besorgen. Ja, wer sich das gefragt hat: die Nahrungsmittelsituation hat sich für einen Großteil der Bevölkerung nicht verbessert. Die großen wirtschaftlichen Probleme des Landes bleiben bestehen. Mit unserem Comedor schaffen
wir eine kleine Abhilfe, sind wir der sprichwörtliche „Tropfen auf dem heißen Stein“. Aber wir tun, was wir können und Gott macht das Übrige.

Ein philippinischer Mitbruder hat in meinen ersten Monaten in Havanna einmal gesagt:

Kuba kannst du nicht/ musst du nicht verstehen, du musst es lieben –
A Cuba no hay que entenderla, sino hay que amarla!


Ich glaube das ist ein gutes Rezept, um hier weiterhin meine Mission als SSpS mit Freude und Zuversicht zu leben!

Während ich diesen Rundbrief schreibe gehen wir mit großen Schritten auf die Karwoche und das Osterfest zu. In einem Lied heißt es so schön:

Neue Hoffnung, neues Leben, kann nur Gott alleine geben.

José Martí, der kubanische Nationalheld, schreibt in einem seiner poetischen Texte und bezeugt damit seinen tiefen Glauben:

„Ich habe es in der finstren Nacht
Über meinem Kopf regnen gesehen
Strahlen reinsten Lichtes
Der göttlichen Schönheit”

Diese Verse sprechen für mich von positiver Energie, Glaube, Lebensfreude und von Auferstehung.

Mögen diese Liedzeile und diese Worte Martís für die Kubaner:innen, für die vielen leidenden Menschen weltweit, für uns ALLE Wirklichkeit werden, „dass wir im Dunkel der Nacht Strahlen der göttlichen Schönheit sehen“, denn diese NEUE HOFFNUNG UND DIESES NEUE LEBEN kann nur Gott alleine geben.

Jesus hat sich am Kreuz für uns hingegeben, damit wir das Leben haben und es in Fülle haben. Zu Ostern feiern wir, dass das Leiden und der Tod nicht das Ende sind, sondern der Beginn von etwas Gutem, Neuem und Schönen.

Ich wünsche euch von Herzen GESEGNETE OSTERN mit vielen Erfahrungen des immer wieder Auf(er)stehens, Neuanfangens mitten im Alltag.
Im Gebet mit euch verbunden

Sr. Christina