Hendrina Stenmanns

Hendriana StenmannsAuf viele Menschen übt der Terminkalender Druck aus. Sie fühlen sich gehetzt, kommen außer Atem. Sie möchten gerne zur Ruhe kommen, wieder Atem schöpfen können, über die Wunder des Lebens staunen und Zeit haben für sich selbst. Es wird immer dringlicher, Zeiten und Orte für das Aufatmen zu finden und darin auch Gottes Atem, seinen Heiligen Geist, neu zu spüren.

Die Bibel erzählt, wie Gott am Anfang Gebilde aus Erde formt und ihnen seinen Lebensodem einhaucht, und sie werden lebendig. Der erste Mensch war erschaffen. Der Prophet Ezechiel sieht in einer Vision, wie Gottes Geist Totengebeine zusammenfügt und ihnen Leben einhaucht. Der Evangelist Johannes war dabei, als Jesus am Abend des ersten Ostertages mitten unter den Jüngern erscheint, die sich aus Furcht hinter verschlossenen Türen verstecken. Jesus haucht sie an, und sie empfangen seinen Geist. Mutig treten sie nun vor die Menge und bekennen sich zu Jesus. Sie werden Männer mit einem langen Atem.

Hendrina Stenmanns aus Issum, einem Dorf am Niederrhein, ist eine Frau mit einem langen Atem. Sie hat Gottes Atem, den Heiligen Geist, entdeckt und das Gebet um sein Kommen zu ihrem Atemholen gemacht.

Am 28. Mai 1852 kam sie als erstes von sieben Kindern zur Welt. Ihr Vater verdient als Schneider und Seidenweber den Lebensunterhalt für seine neunköpfige Familie. Als das Haus vergrößert werden muss, setzt sich die 14-jährige Hendrina ebenfalls an den Webstuhl.

Hendrina kann nicht nur weben und im Haushalt helfen, sie hat vor allem offene Augen für die Not, die sie umgibt: Arme, Kranke, Sterbende. Einen langen Atem hat sie für Menschen in Notsituationen. Unauffällig und still greift sie zu, springt sie ein, bleibt, solange sie gebraucht wird.

Eine Tante lebt als Franziskanerin im Nachbarort. Hendrina möchte es auch werden, fürchtet jedoch, mit ihren 1,49 Meter zu klein zu sein. Sie ist 19 Jahre, als die Tante stirbt. Hendrina schließt sich jetzt der Franziskanischen Bewegung an und findet hier eine innere Heimat, Begleitung auf ihrem Weg zu Gott und Hilfe für ein christliches Leben.

Auch an der Familie Stenmanns geht das Leid nicht vorüber. 1873 stirbt die sechsjährige Gertrud, Hendrinas jüngere Schwester, und ein Jahr später ihr 19-jähriger Bruder Heinrich.

1871 bricht der Kulturkampf aus. Die Franziskanerinnen werden des Landes verwiesen. Hendrinas Traum, bei ihnen einzutreten, ist vorbei. Das versetzt sie jedoch nicht in Unruhe. Sie lebt von Stunde zu Stunde, den jeweiligen Augenblick, und überlässt Gott die Zukunft.

Vaters Lehrling, Lambert Welbers, geht 1877 als Schüler ins Missionshaus nach Steyl. Hendrina sorgt für seine Aussteuer. 1878, kurz vor Weihnachten, stirbt die Mutter. Hendrina ist 26 Jahre alt. Es ist selbstverständlich, dass Hendrina als älteste Tochter jetzt für die Familie da ist und die eigenen Lebenspläne vorerst zurückstellt. Gott wird auch für sie sorgen.

Aus Dankbarkeit lädt Lambert Welbers 1880 Hendrina ein, das Pfingstfest in Steyl zu feiern. Sie betet mit der jungen Gemeinschaft und fühlt sich vom missionarischen Geist angesprochen. Die Küchenhilfe Theresia Sicke weckt in ihr den Wunsch, in der Steyler Küche für die Mission zu arbeiten. Pfingsten 1883 ist Hendrina wieder in Steyl. Lambert Welbers hat Steyl verlassen. Aber durch ihn hat Hendrina den Ort gefunden, wo sie ihre Berufung leben kann. Hendrina trifft jetzt drei Frauen in der Küche. Sie alle möchten Missionarinnen werden. Hendrina möchte das auch. 1884 teilt sie Arnold Janssen ihre Entscheidung mit. Sie möchte sich mit ihrem ganzen Leben für die Weltkirche einsetzen.

Am 12. Februar 1884 kommt Hendrina nach Steyl und schließt sich Theresia Sicke, Helena Stollenwerk und Theresia Volpert an. Sie teilen ein Zimmer, beten und arbeiten zusammen. Ihre gemeinsame Sehnsucht, Missionarinnen zu werden, trägt sie, wenn die Arbeiten sowie das Warten schwerfallen

oder andere sie nicht für geeignet halten, mit einer missionarischen Gemeinschaft zu beginnen. Theresia Volpert verlässt Steyl. Im März 1887 stirbt Hendrinas Vater. Sie fährt zum Begräbnis heim – und kommt zurück, weil ihr trotz des langen Wartens die Luft noch nicht ausgegangen ist.

Was hat Hendrina in dieser langen, unsicheren Wartezeit getragen? Mit 19 Jahren wollte sie doch schon ins Kloster gehen, und mit 32 Jahren kam sie nach Steyl. Einige Jahre wartet sie schon, da sagt ihr Arnold Janssen, sie habe wenig Aussicht, in Steyl Missionsschwester zu werden. Er wolle jedoch sorgen, dass ein anderes Kloster sie aufnähme. Sie gerät nicht in Panik. Sie spürt eine innere Gewißheit, am rechten Ort und in Gottes guter Sorge zu sein.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer: Am 12. Juli 1888 ziehen sie zu viert in ein baufälliges, kleines Haus und sind zum ersten Mal unter sich. Jetzt stopfen und flicken sie für die Bewohner des Missionshauses. Sie können ihrer Sehnsucht nach Gott jetzt ihren eigenen Ausdruck verleihen und sind ihrem Ziel einen kleinen Schritt näher gekommen.

Am 8. Dezember 1889 beginnen die Frauen offiziell das Ordensleben in einem Haus, das von Kapuzinern bewohnt war. Diesen Tag feiern sie als den Gründungstag ihrer Ordensgemeinschaft. Hendrina begleitet als Oberin die jungen Frauen, die sich ihnen anschließen, auf ihrem Weg ins Ordensleben. Mit ihrer einfühlsamen, warmen Art und dem rheinischen Charme gewinnt sie die Herzen.

Im Oktober 1890 ziehen die Schwestern in ein richtiges Frauenkloster um. Helena Stollenwerk wird Oberin und Hendrina ihre Stellvertreterin und rechte Hand. Sieben Jahre konnten sie zusammenarbeiten, Freude und Leid miteinander teilen, sich gegenseitig ergänzen.

Endlich ist der ersehnte Tag gekommen: 16 angehende Ordensfrauen erhalten am 17. Januar 1892 das Ordenskleid. Hendrina heißt ab jetzt Sr. Josefa. Sie ist ihrem Ziel wieder einen Schritt näher gekommen. Ihre große Freude und Dankbarkeit teilt sie auch mit ihrer Familie.

Die Schwestern richten ihre eigene Küche ein und halten eine Kuh. So können sie besser für ihre Gemeinschaft sorgen. Sie nehmen Mädchen und Frauen zu Tagen der Stille und Einkehr auf und antworten damit auf ein Bedürfnis ihrer Zeit. Bis zu 300 Frauen waren in einem Kurs. Hendrina möchte niemandem absagen. Die Schwestern unterstützen sie. Sie stellen ihre Betten zur Verfügung und schlafen auf dem Dachboden. Endlich haben sie eine missionarische Aufgabe!

Neben der Hausarbeit drückt Hendrina mit 40 Jahren noch die Schulbank, um Spanisch zu lernen. Auch wenn die Zunge sich schwer tut, es schenkt missionarische Weite und – Lateinamerika lockt.

Die Gemeinschaft feiert am 12. März 1894 ein großes Fest: die ersten zwölf Schwestern übergeben Gott ihr Leben, auch Hendrina. Ihre Sehnsucht findet sie in dem Bibelwort ausgesprochen: „Wandle vor mir und sei ganz!“ (Gen 12)

Arnold Janssen schätzt Hendrinas Umsicht und praktisches Geschick. Sie ist nicht nur selbst tüchtig, sondern auch fähig, junge Frauen anzulernen. Deshalb wird sie verantwortlich für die verschiedenen Arbeiten und sorgt für ein gutes Arbeitsklima. Im ordenseigenen Lehrerinnenseminar sind 50 Schwestern, genauso viele arbeiten für die Missionsdruckerei und 64 waschen, nähen und flicken die Wäsche von Schwestern und Missionshausbewohnern. Auch wenn sie eigentlich zu wenig Arbeitskräfte haben, freuen sich alle mit, als 1895 die ersten Schwestern nach Argentinien, 1897 nach Togo und 1899 nach Neuguinea ausreisen können. Sie versorgen sie mit Kleidung und Lebensmitteln. Hendrina interessiert sich für die Arbeit aller Schwestern, schenkt ihnen Anerkennung und fördert ihren Frohsinn. Sie möchte, daß die Schwestern sich zu Hause fühlen. 1895/96 wird angebaut, denn am 8. Dezember 1896 gründet Arnold Janssen mit einigen Schwestern aus ihren Reihen die Gemeinschaft der Steyler Anbetungsschwestern.

Am 8. Dezember 1898 tritt Helena Stollenwerk, bis jetzt Oberin und engste Vertraute Hendrinas, zu den Steyler Anbetungsschwestern über. Hendrina wird die Trennung sehr schwer. Sie wird Oberin von 137 Schwestern, die in Steyl, Argentinien und Togo leben. Sie schreibt, dass eine „Bürde auf ihre Schultern“ gelegt worden ist. Nach dreieinhalb Jahren sind bereits 278 Schwestern in Steyl, Argentinien, Togo, Neuguinea, USA und Brasilien tätig. Diese einfache Frau hat die Anfänge der Gemeinschaft entscheidend geprägt. Sie ist jedoch überzeugt, dass sie nicht die letzte Verantwortung tragen muss, denn die Gemeinschaft der Schwestern gehört dem Heiligen Geist. Er wird auch für sie sorgen. Hendrina bleibt gelassen und vertraut ganz und gar auf diesen Geist.

Endlich kann sie am 8. September 1901 gemeinsam mit acht Schwestern sich für immer an Gott und die Gemeinschaft binden. Es ist der Höhepunkt ihres Ordenslebens. Helena Stollenwerk, die einstige Gefährtin, erlebt diesen Tag nicht mehr. Sie ist bereits am 3. Februar 1900 gestorben.

Langanhaltende Asthmaanfälle machen Hendrina das Atmen schwer. Sie wehrt sich nicht dagegen, sondern lässt sich von ihnen zu Gottes Atem führen, dem Heiligen Geist. Er atmet in ihr. Hendrina überlässt sich Gottes Lebenshauch wie ein Schwimmer den Wellen im Meer. Sie betet oft nicht bewusst. Aber sie weiß und spürt, Gott betet in ihr. Er ist ihr nahe, und sie weiß sich geliebt. In ihm ist sie beheimatet. Gottes Liebe ist ihre Kraft und die Quelle ihrer Warmherzigkeit und Güte. Vor ihrem Sterben legt Hendrina noch einmal allen Schwestern ans Herz, daß sie eine gute Beziehung zum Heiligen Geist pflegen sollen. Das Gebet um sein Kommen soll ihr Atemholen sein, damit auch ihnen die Luft niemals ausgeht.

In den Atem Gottes gibt Hendrina am 20. Mai 1903 ihren Lebensatem zurück.

Sr. Gabriele Hölzer SSpS