Lebensbilder

Lebensbild †Sr. Veronika

Wir hatten uns schon sehr auf Sr. Veronikas Besuch im Juni 2016 in St. Koloman gefreut und gespannt auf die Berichte aus dem Südsudan gewartet. Einen Vortragstermin hatten wir ebenso festgelegt. Schwestern von St. Koloman, Mitglieder der MHGG, Nachbar:innen, Missionsfreund:innen warteten auf diesen Tag und freuten sich auf die Begegnung mit Sr. Veronika, der Ärztin, die in Yei im Südsudan trotz Bürgerkrieg und den damit verbundenen Gefahren und Nöten, treu und fürsorglich ihren missionarischen Dienst lebte.

Dazu kam es nicht.

Wenige Wochen zuvor hörten wir von dem Angriff auf den Ambulanzwagen, den Schüssen und Sr. Veronikas lebensgefährlicher Verletzung. Nachdem sie eine gebärende Frau in der Nacht ins Krankenhaus gebracht hatte, wurde der Krankenwagen auf dem Rückweg von einer Gruppe Soldaten angegriffen. Sie nahmen den Wagen unter Beschuss und verwundeten Sr. Veronika schwer in Hüfte und Unterleib. Sie wurde im Krankenhaus in Yei versorgt, operiert und dann sogar noch ins Hospital nach Nairobi, Kenia überstellt. Die Ärzte kämpften um ihr Leben, SSpS und Freund:innen besuchten sie und begleiteten sie im Gebet. Am 20. Mai 2016, dem Fest der seligen Mutter Josepha, Hendrina Stenmans, erlag Sr. Veronika ihren Verletzungen. Ihr Tod war ein nicht wiedergutzumachender Verlust für ihre Mitschwestern, für ihre Familie und für die Menschen, denen sie diente, vor allem in Yei.

Eine Woche später fand ihre Beerdigung auf dem Friedhof der Diözese in der Pfarre St. Joseph in Lutaya statt. Das Requiem wurde in der Christkönigs-Kathedrale in Yei gefeiert. Tausende Trauergäste aus verschiedenen Teilen des Süd-Sudan und besonders die Menschen von Yei waren gekommen, um sich von ihrer Ärztin zu verabschieden.

Schwester Veronika SSpS Südsudan

Wer war Sr. Veronika?

Veronika Rácková wurde am 8. Jänner 1958 in Bánov, einem Dorf im Bezirk Nitra im Südwesten der Slowakei geboren. Ihr Vater Thomas arbeitete bei der staatlichen Eisenbahn und ihre Mutter Mária war Hausfrau.

Sie besuchte die Volksschule in Bánov, das Gymnasium in Šurany und studierte anschließend wie ihre Schwester Pavla Medizin in Prag. Kontakt zu Ordensfrauen gab es immer, obwohl diese geheim gehalten werden mussten, aufgrund der Verfolgung der katholischen Kirche im totalitären kommunistischen Regime der Tschechoslowakei. Trotz alledem fühlte Veronika ihre Berufung und nach Exerzitien bei den SSpS trat sie am 1. November 1982 in die Missionskongregation der Dienerinnen des Heiligen Geistes ein. Sie war noch Studentin der Medizin und begann ihr Novizinnenprogramm im Geheimen.

Damals flüchteten die Novizinnen aus der Tschechoslowakei, um ihre weitere Ordensausbildung zu abslovieren und ihre Mission zu leben. Nachdem sie von der Provinzleitung gefragt wurde, ob das für sie eine Option wäre, entschloss sich Sr. Veronika ebenfalls dazu. Mit ihrer Familie konnte sie nicht darüber sprechen, das war zu gefährlich für alle Beteiligten.

Sr. Veronika sollte ihre Ausbildung zur Ärztin im Ausland absolvieren, um dann in ihrem Missionsland tätig werden zu können.

Die Gelegenheit für ihre Flucht bot sich anlässlich einer Reise nach Rom. Sie war mit einer Reisegruppe unterwegs und wurde von einer Frau bewacht, die eigens dafür engagiert worden war, auf Sr. Veronika aufzupassen. Sr. Veronika schrieb darüber:

„Es war sehr stressig. Ich wusste nicht, wie ich von ihr loskommen sollte. Irgendwann dachte ich ‚Jetzt oder nie‘. Es war an einem wunderschönen Morgen bei der Besichtigung von Rom. Wir standen als Gruppe an einer Ampel. Als das Licht grün wurde, ging die Gruppe los. Ich bückte mich und fing an, an meinen Schuhen zu hantieren. Und dann rannte ich zu einem stehenden Taxi und gab dem Fahrer die Adresse unseres Generalates in Rom. Kurz darauf kam ich im Generalat an und traf unsere Schwestern. Ich hatte nur eine kleine Tasche mit einigen Dokumenten bei mir. So verschwand ich und sah den Rest der Gruppe nicht wieder. Ich hatte es geschafft! Es muss der Heilige Geist gewesen sein, der mich geführt und mir die Kraft gegeben hat, denn nachher, als ich im Ausland war, fühlte ich einen tiefen inneren Schmerz, wenn ich an zuhause und an meine Eltern dachte. Mir wurde bewusst, dass ich sie nie wieder sehen würde. Meine Familie wusste von meiner Abreise, doch wir konnten darüber nicht offen kommunizieren. Es wurde alles sehr sorgfältig unter uns gehalten. Ich fühlte einen großen inneren Schmerz und mein Herz zersprang beinahe, doch ich überlebte. Ich ging weiter, aber es war nicht ohne Tränen, auch wenn ich im Ausland war“.(Kongregácia, 2021: 60-61)

Sr. Veronika führte ihre Studien fort, arbeitet in einem Berliner Krankenhaus und spezialisierte sich auf Tropenmedizin. Nach ihren ewigen Gelübden begann sie ihren Missionsdienst in Ghana, im West Gonja Hospital in Damongo. Als Leiterin des Krankenhauses beeindruckte sie die Menschen während einer Choleraepidemie mit ihrer Fürsorge und ihrem schnellen und effizienten Handeln. Ihr empathischer und gütiger Einsatz für die Kranken und Leidenden wurde mit diversen Auszeichnungen für ihre Arbeit und für das Krankenhaus belohnt.

1999 war es ihr zum ersten Mal möglich, Heimaturlaub zu machen und ihre Familie wiederzusehen. 2000 kehrte sie nach Ghana zurück und reorganisierte als Leiterin der Entbindungsstation die Klinik von Wiaga, mit dem Ziel, eine andere Mission in Südafrika zu beginnen. Dazu kam es nicht, da sie von 2004 bis 2010 die Slowakische Provinz leiten sollte.

Sr. Veronika SSpS Südsudan

Danach bat sie wieder um eine Bestimmung für Afrika und brach bald danach nach Yei im Südsudan auf. Gemeinsam mit zwei anderen Schwestern war Sr. Veronika Pionierin der SSpS-Mission in Yei. Die drei Schwestern lebten unter den Armen und bemühten sich von Anfang an um Kontakt zu den Menschen. Ihre Tür war immer offen, besonders für Frauen und Kinder. Die Geschichte, die Kultur und das tägliche Leben der Menschen in dem von Bürgerkrieg geplagten Land war ihnen wichtig und sie erlernten die arabische Sprache, um besser mit den Menschen kommunizieren zu können.

Nachdem der Südsudan 2011 nach mehr als 20 Jahren Bürgerkrieg eigenständig wurde, war es offensichtlich, dass es Medizin und Seelsorge brauchte, um die schwer traumatisierten Menschen zu betreuen. Familien zu besuchen und zuzuhören, wenn sie von ihren traumatisierenden Erlebnissen von Flucht und Krieg berichteten, wurde für Sr. Veronika und ihre Mitschwestern zu einer wichtigen Aufgabe. Sr. Veronika berichtete:

„Im Bewusstsein unserer Identität als Jüngerinnen, verwurzelt in Gott und inspiriert durch den Heiligen Geist, bemühen wir uns, unsere kreative Lebensform zu leben, mit anderen zusammen zu arbeiten und Verantwortung zu teilen. Die Menschen bemerkten dies sehr bald nach unserer Ankunft in Yei und schätzen es sehr. Das Angesicht der Kirche in Yei verändert sich langsam und bekommt auch ein weibliches Gesicht.“

Die Schwestern bemühten sich, Würde, Rechte und Ausbildung von Frauen und Mädchen zu fördern. Doch es gab noch so viel mehr zu tun.

Sr. Veronika engagierte sich auch als Leiterin der SSpS Kommunität und als Ärztin und Direktorin des St. Bakhita Gesundheitszentrums in Yei. Das Zentrum war in schlechtem Zustand. Es musste wiederaufgebaut werden, zusätzliches Personal eingestellt und die Qualität der Dienste verbessert werden. Sr. Veronika brauchte viel Gottvertrauen und einen langen Atem. Sie musste sich behaupten:

 „Eine große Herausforderung für unsere Mission ist die männer-dominierte Gesellschaft. Wir spüren, dass die Kleriker, die für alle wichtigen Apostolate in der Diözese verantwortlich sind, dominieren, an ihrer Macht festhalten und uns und anderen nicht erlauben, uns zu bewegen und neues Leben zu gebären. Wir fühlen uns von ihnen und denen, die mit ihnen arbeiten, blockiert. Die Diözese sagt uns, dass sie kein Geld hat für die medizinischen und anderen Dienste, die die SSpS anbieten. Aufgrund von Unterfinanzierung brechen diese Dienste fast zusammen und viele Angestellte gehen weg. Wir sind trotz allem überzeugt, dass es gut ist, dass wir im Sudan sind (Rácková, 2011).

Um die medizinische und seelsorgliche Betreuung der Menschen realisieren zu können, brauchte Sr. Veronika also Sponsoren und Wohltäter:innen, die mit ihren Spenden die Arbeit der Schwestern unterstützten. Sie fand diese in Westeuropa.

Auch das Aussätzigenprogramm war ein großes Anliegen von Sr. Veronika. Sie wollte den Kranken und Verstoßenen eine Stimme geben und ihnen innerhalb der Dorfgemeinschaft ein Leben in Würde ermöglichen.

Um die Menschen besser zu erreichen und oder in ein Krankenhaus bringen zu können, wurden zwei Fahrzeuge angeschafft, ein Auto und ein Ambulanzwagen. Der Ambulanzwagen konnten mit Spenden der MHGG aus Österreich/Südtirol und der Vinzenzgruppe gemeinsam mit der MIVA finanziert werden.

Veronika liebte und respektierte die Menschen im Süd-Sudan. Sie schrieb einmal: „Ich bewundere sie, weil sie stark sind und nicht aufgeben. Ich bin überzeugt, dass Gott sie unendlich liebt und Missionar:innen zu ihnen sendet, damit sie seine Liebe spüren können.“

2013 startete sie ein Programm um den psychisch Kranken in Yei zu helfen. In diesem Jahr brach auch der Bürgerkrieg wieder aus. Sr. Veronika traf die Entscheidung, trotz der Gefahren des Krieges im Land zu bleiben und nicht fortzugehen:

„Jesus ging konsequent seinen Weg. Er zog sich nicht zurück, als es schwierig wurde. Er blieb die ganze Zeit bei den Menschen und wies sie nicht ab. Er war auch bereit, den Tod anzunehmen, weil er die Menschen liebte. Er liebte sie mit grenzenloser Liebe. Als Jüngerin Jesu folge ich ihm in der Kraft des Heiligen Geistes. Ich kann diese Menschen im Süd-Sudan nicht verlassen, weil ich sie liebe“ (zitiert in: Keler, 2017).

Sr. Veronika arbeitete weiterhin unermüdlich für das Gesundheitszentrum, verbesserte die Organisation und die Infrastruktur. Neue Aufnahmestationen und Sonnenkollektoren ermöglichten den „rund um die Uhr“-Betrieb und Wasserprojekte stellten die Wasserversorgung für das Zentrum, die Schule, den Kindergarten und die Umgebung sicher.

Die Ausbildung von jungen Frauen in der Krankenpflegeschule in Wau, eine neue chirurgische Abteilung und die Erweiterung der Unterkünfte des Personals standen noch als zukünftige Projekte auf ihrer Liste. Diese konnten aber nicht mehr umgesetzt werden.

Bald nach ihrem Tod verschlechterte sich die Siuation in Yei und die Menschen mussten vor den Kriegshandlungen flüchten. Die Missionarinnen und Missionare begleiteten sie nach Uganda ins Bidi-Bidi-Refugee Settlement. Ein Gebiet so groß wie das Burgenland, dass den Geflüchteten temporär von den Grundbesitzern zur Verfügung gestellt wurde. Dort gründeten SVD und SSpS eine Pfarre. Sie übernahmen wichtige Aufgaben in Seelsorge, Weiterbildung, Förderung, für Frauen, Kinder, im landwirtschaftlichen Bereich, um den traumatisierten, heimatlosen Menschen zu helfen, ihre Würde und ihre Unabhängigkeit wieder zu erlangen.

Yei war verlassen und das Gebiet großflächig vermint. Seit WANN? Gibt es Hoffnung zurückkehren zu können. Einige Schwestern haben Yei besucht und die Rückkehr ist in Planung.