„Mich hat diese Lebensform zu einer größeren inneren und äußeren Freiheit geführt.“

Interview mit Sr. Christina Blätterbinder

Das Medienbüro der Ordensgemeinschaften Österreich hat den Tag des geweihten Lebens (2.Februar) zum Anlass genommen, um mit Sr. Christina Blätterbinder SSpS über die von ihr gewählte Lebensform zu sprechen:

Sr. Christina, wie geht es Ihnen heute – ein halbes Jahr nach der Ewigen Profess – mit Ihrer Entscheidung? Fühlen Sie sich nach wie vor glücklich damit? Oder gab es auch Momente, in denen Sie an der Richtigkeit Ihrer Entscheidung gezweifelt haben?

Meine Ewige Profess am 16. September 2023 in unserem Provinzhaus in Stockerau war ein sehr schönes, berührendes und stimmiges Erlebnis für mich. Seit meinem Eintritt bei den Dienerinnen des Heiligen Geistes (Steyler Missionsschwestern) bin ich einen persönlichen Weg gegangen, für den ich an diesem Tag große Dankbarkeit verspürt habe. Eine große Dankbarkeit hat mich auch erfüllt für alle Menschen, die mich in diesen Jahren begleitet haben. Dieses endgültig ausgesprochene JA zu Gott und meiner Gemeinschaft schenkt mir trotz mancher Herausforderungen des Alltags Zufriedenheit und eine innere Ruhe, die mich glücklich machen. Mein Leben hat die richtige Orientierung bekommen.

Und trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, kommt mir angesichts der momentanen Weltlage mit Kriegen und dem drohenden Klimakollaps auch öfter ein Wiener Lied von Alexander Bico und Karl Kratzl mit dem Titel „Des Glück is a Vogerl“ in den Sinn. Glück kann sich schnell verflüchtigen und ist für Menschen in vielen Teilen der Welt ein gefährdetes Gut. Daher ist es für mich als Mitglied einer international tätigen Missionsgemeinschaft wichtig, nicht nachzulassen und immer wieder aus dem Glauben heraus zu versuchen, diese Welt zu einem Ort des guten Lebens für alle Menschen und die Schöpfung zu machen, weil Gott das Leiden seines Volkes gesehen und seine Klagen gehört hat (vgl. Ex 3,7).

Ein Ausspruch unseres Ordensgründers, des Hl. Arnold Janssen, ist für mich eine Orientierungshilfe, wenn ich in Gefahr komme, zu glauben, alles selber machen und schaffen zu müssen: „Wenn wir alles tun, was in unserer Macht steht, dann tut Gott das Übrige.“

Wie schaffen Sie es, die drei Gelübde Keuschheit, Armut und Gehorsam in Ihr Leben zu integrieren? Fehlt Ihnen nichts? Regt sich von Zeit zu Zeit innerer Widerstand dagegen? Wenn ja: Wie gehen Sie damit um?

Ich glaube, dass es in keiner Lebensform, weder im Ordensleben noch in einer Partnerschaft oder als Single, möglich und gut ist, alles zu haben und alles zu tun. Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit, Grenzen einzuhalten und in schwierigen Zeiten und trotz mancher Widerstände zu dem zu stehen, was mir wichtig ist, gehören dazu. In den Gelübden zu leben, fordert heraus, schenkt mir aber auch sehr viel Sinn. Für mich bedeutet Armut einen einfachen, möglichst ressourcenbewussten Lebensstil zu führen. Unter Keuschheit verstehe ich, ein Netz an weltweiten Beziehungen zu haben, ohne einen Menschen an mich zu binden. Der Gehorsam ist für mich die Einladung, beständig darauf zu hören, wohin mich Gott ruft.

Ein Leben in diesen Gelübden engt mich keineswegs ein, wie es sich viele Menschen in meinem näheren Umfeld oft vorstellen. Mich hat diese Lebensform zu einer größeren inneren und äußeren Freiheit geführt, die ich nicht mehr missen möchte.

Gibt es die Angst, später einmal draufzukommen, etwas verpasst zu haben, zum Beispiel eine eigene Familie?

Nein, Angst habe ich in dieser Sicht keine. Das Leben lehrt uns, dass nicht immer alles möglich ist. Gleichzeitig erfahren wir, dass uns vieles nicht wirklich befriedigt. Ich glaube, jede Entscheidung, die man im Leben getroffen hat, lässt einige Türen zugehen, öffnet aber gleichzeitig auch neue. Ein Buchtitel von Dorothee Sölle drückt meine Überzeugung aus: „Es muss doch mehr als alles geben“. Ich möchte in meinem Leben jeden Tag lernen, diesem „mehr“, diesem Gott besser auf die Spur zu kommen. Und ich danke Gott, dass er sich immer wieder von mir finden lässt, in jeder Begegnung mit Menschen und in der Schöpfung.

Ist diese strenge Form des Ordenslebens, die Sie gewählt haben, noch zeitgemäß oder wären nicht auch weniger radikale Formen des Ordenslebens denkbar, mit denen sich mehr Menschen anfreunden könnten?

Ich empfinde die strenge Form des Ordenslebens in den Gelübden immer noch zeitgemäß. Wegen der großen Veränderungen in der Gesellschaft braucht es vonseiten der Ordensgemeinschaften auch die Fähigkeit zur Reflexion über zeitgemäßes Ordensleben, Anpassungen in der Ordensausbildung und im konkreten Lebensalltag der Mitglieder. Deshalb wird bei uns beispielsweise viel Wert auf die persönliche Verantwortung, die Sorge füreinander und das Gespräch in der Gemeinschaft gelegt.

Unsere Steyler Freiwilligendienste „Missionar:in auf Zeit (MaZ)“ und „Mission Beyond Borders (MBB – Arbeit mit geflüchteten Menschen an den Rändern Europas)“ sind ein Beispiel für weniger radikale, zeitbegrenzte Formen des Mitlebens. Dabei können junge Menschen zwischen drei und zwölf Monaten mit Steyler Missionsschwestern und Missionaren leben und an unserer Sendung teilhaben.

Ich bin überzeugt, dass das Ordensleben der Zukunft Vielfalt braucht, um weiterhin zeitgemäß zu bleiben: zeitlich begrenzte und lockere Anknüpfungspunkte an Ordensgemeinschaften, aber auch das radikale, an die Wurzel gehende „sich ganz Geben“ in den Gelübden.

Haben Sie Gedanken oder Ideen, ob bzw. wie sich die Zahl der Berufungen erhöhen ließe? Können Ordensgemeinschaften aktiv etwas dafür tun oder ist es eine Gnade von oben, die sich nicht beeinflussen lässt?

Das Freiwillige Ordensjahr ist eine gute Möglichkeit, dass sich Gemeinschaften öffnen, Gastfreundschaft leben und eventuell Interessierte dieses Leben von innen kennenlernen können. Menschen kommen oft mit einer sehr guten Ausbildung, sehnen sich nach authentischer Gemeinschaft, in der sie ihren Glauben leben können. Wenn Ordensgemeinschaften solche Gemeinschaften anbieten können, in denen Herausforderungen angesprochen und Konflikte mit der nötigen menschlichen Reife ausgetragen werden, wird es auch weiterhin Eintritte geben.

Mit welchen Gefühlen brechen Sie nach Kuba auf? Fällt es Ihnen leicht, die Heimat, Ihre Familie und Ihre Freunde zurückzulassen? Was wollen Sie dort bewirken?

Ich bin im Moment aufgeregt, erwartungsvoll, hoffnungsvoll und auch ein bisschen nervös, weil ich nicht genau weiß, was auf mich zukommt. Familie, Freunde und Freundinnen und die Heimat zurückzulassen, fällt natürlich nicht leicht. Aber als Missionarin habe ich Mut, neue Erfahrungen zu machen und daraus zu lernen, bekannte Wege zu verlassen und mich auf Neues einzulassen. So möchte ich offen sein für alles, was kommt, und bitte ums Gebet für mich und die Menschen in Kuba. Danke!