Zwei Jahre Krieg in der Ukraine

Jeder von uns hat der Welt etwas zu bieten, damit sie menschlicher wird

Als am 24. Februar 2022 Russland die Ukraine überfiel, mussten auch die Steyler Schwestern, die in der Ukraine leben und arbeiten, überlegen, ob sie bleiben oder fliehen wollen. Viele blieben und stehen den Menschen in dieser schwierigen Zeit zur Seite. Zwei von ihnen erzählen Geschichten von Menschen, die ihr Herz berührt haben und wie es ihnen heute geht.

„Wir erinnern uns deutlich an diesen Tag vor zwei Jahren. Wir Schwestern hatten uns zu einem Seminar in unserem Kloster in dem kleinen Dorf Verbovets versammelt. Als ich sehr früh am Morgen aufwachte, hörte ich einige Explosionen. Ich dachte, dass es Jäger im Wald seien, aber bald lasen wir die Information: Der Krieg hatte begonnen. Am Anfang dachten wir, dass der Krieg in einer Woche, in ein oder zwei Monaten zu Ende sein würde. Heute sind es zwei Jahre, und uns ist klar, dass es kein baldiges Ende geben wird.

Vor Kurzem war ich in Saporischschja, und ich konnte die Angst der Menschen sehen, dass die Russen näher an die Stadt herankommen. In letzter Zeit werden immer mehr Geschäfte und Apotheken aufgegeben und schließen. Die Menschen, die eine Arbeit finden, erhalten sehr geringe Löhne. Auf dem Gelände der katholischen Kirche werden vier Mal pro Woche Lebensmittel ausgegeben. Ich sah eine große Menschenmenge. Sie alle warteten zwei bis drei Stunden, um ein Brot und andere Kleinigkeiten zu bekommen.

Zur gleichen Zeit beten die Menschen in Saporischschja in der Kirche des Barmherzigen Vaters sehr viel. Zur Morgenmesse versammeln sich täglich etwa 200 Menschen.

In dieser Gemeinde lernte ich Alona kennen. Sie war aus ihrer Heimat geflohen war, nachdem Russen in ihre Stadt und ihr Haus gekommen waren. Sie und ihr Mann wurden Gemeindemitglieder und haben im vergangenen Sommer hier geheiratet. Sie sind seit vielen Jahren zusammen. Vor zehn Jahren haben sie alle drei Kinder bei einem Autounfall verloren. Jetzt haben sie ihr Haus und alles verloren. Der Austausch mit ihnen ist sehr berührend. Sie sind Menschen, die viel gelitten haben, aber sie sind so reich an Spiritualität. Sie lieben und unterstützen sich gegenseitig sehr und haben einen tiefen Glauben daran, dass der Herr mit ihnen unterwegs ist und einen Plan für sie hat.

Alona erzählte viele traumatische Geschichten, aber darunter waren auch schöne wie das Bibellesen im Keller. Als sie in ihrem eigenen Haus gefangen waren, las sie laut in der Bibel und lernte Psalm 91 auswendig. Das hat ihr und ihrem Mann sehr viel Kraft gegeben. Es war wie ein Wunder, dass sie der Besatzung entkommen konnten. Dafür danken sie Gott.

Kurz bevor ich aus Boryspil weggezogen bin, habe ich meinen Freund besucht, der ein kleines Café in unserer Stadt eröffnet hat. Eine Frau kam zu ihm, um Kaffee zu kaufen. Ich konnte hören, dass sie über einen Soldaten sprachen, also fragte ich sie, ob sie jemanden an der Front hat. Dann erzählte sie mir eine Geschichte über ihren Bruder: „Vor zwei Monaten ist er in den Krieg gezogen. Ich bot ihm ein kleines Kreuz an, aber er wollte es anfangs nicht annehmen, da er nicht sehr gläubig war. Am Ende nahm er es an. Heute rief er mich an und zeigte mir das Kreuz und sagte: „Er hat mir das Leben gerettet. Der Kampf war schrecklich und ich blieb am Leben. Ich danke dir“. Als sie das erzählte, kamen ihr die Tränen.

Als ich mit dem Zug nach Saporischschja fuhr, beobachtete ich die Menschen auf den Bahnsteigen. Es gab viele Soldaten, die zu den Zügen gingen. An einem kleinen Bahnhof sah ich eine Mutter, die sich von ihrem sehr jungen Sohn – einem Soldaten – verabschiedete. Ich sah, wie sie versuchte, sich zu beherrschen, um nicht zu weinen. Aber der Schmerz und die Sorgen waren in ihrem Gesicht zu sehen. Als der Sohn sich umdrehte, um in den Zug zu steigen, machte die Mutter mit der Hand ein großes Kreuzzeichen. Er ging mit dem Segen der Mutter.

In dieser Zeit der Fastenzeit, in der wir über das Leiden Jesu nachdenken und viel Leid in unserer verwundeten Welt sehen, möge unser Herz von Mitgefühl bewegt werden. Nicht nur mit denen, die weit weg sind, sondern auch mit denen, die bei uns leben, die unsere Gegenwart suchen, die hungrig sind nach einem guten Wort, einem offenen Ohr oder einem lächelnden Gesicht. Jeder von uns hat der Welt etwas zu bieten, damit sie menschlicher wird. Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Zeit der Vorbereitung auf Ostern.“

Sr Maria Marta Przywara

„Ich bin seit fast 27 Jahren in der Ukraine tätig. Ich komme aus Polen, aus dem kleinen Dorf Kamesznica. Ich habe in der Ukraine mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gearbeitet. 13 Jahre zum Beispiel in einer Suppenküche für Arme und Obdachlose. Die Ukraine ist ein wunderschönes Land mit viel Grün, Wäldern und Steppen. Die Menschen sind sehr freundlich und gastfreundlich und die ukrainische Küche ist besonders. Die Menschen essen gerne etwas Warmes zum Frühstück und zum Abendessen, Suppe, Kartoffeln oder eine Art warmes Gericht. Die Mehrheit der Menschen hier sind orthodoxe Christen.

Seit 2014 gab es gewalttätige Auseinandersetzungen im Osten der Ukraine. Wir mussten uns „daran gewöhnen“, was sehr schmerzhaft war, denn viele Familien, darunter auch einige unserer ukrainischen Schwestern, haben russische und ukrainische Mitglieder. 

Im Jahr 2017 ging ich als Freiwillige für einen Monat in den Osten, um den Menschen zu helfen, die bereits unter den Russen litten. Zum ersten Mal erlebte ich einen Vorgeschmack auf den schrecklichen Krieg und das Leid. Kinder und Erwachsene versteckten sich während der Angriffe in Kellern. Ich erinnere mich, dass wir einmal mit Schwester Halina Madej in einer der Schulen waren, als die Granaten anfingen zu fliegen. Die Schule bebte und ich hatte Angst. Dann fragten die Kinder: „Habt ihr Angst?“ – „Ja“, antwortete ich und sie sagten: „Wir haben keine Angst mehr. Wir sind daran gewöhnt“.

Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass das Schlimmste noch kommen würde. Es kam der 24. Februar 2022. Ich war zu dieser Zeit in Irland, um Englisch zu lernen. Ich kehrte schnell wieder in die Ukraine zurück. Gott, der Herr, zeigte mir, dass es notwendig ist, bei einem Volk zu sein, das leidet. Viele Menschen aus der Ukraine gingen ins Ausland, um einen sicheren Ort für sich und ihre Kinder zu finden. Viele sind geblieben. Wir beten, denn jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, geht der Krieg weiter. Viele Menschen werden vermisst. Täglich gibt es Bombardierungen und viele Städte in der Ukraine sind bereits völlig zerstört. Heute ist der 24. Februar 2024. Es ist Fastenzeit. In Boryspil, in der Nähe von Kiew, ist es, abgesehen von den häufigen Sirenen und Explosionsgeräuschen, relativ ruhig.

Das russische Militär besetzt ukrainisches Gebiet. Aber wir haben noch Hoffnung und den Glauben an Gottes Barmherzigkeit. Wir helfen, so gut wir können. Wir schicken Pakete dorthin, wo wir sie nicht persönlich erreichen können. Wir helfen Militärfamilien und Flüchtlingen. In vielen Städten der Ukraine, auch in Boryspil, gibt es Menschen, die alles verloren haben. Diese Realität ist für sie sehr schwer. Diese Menschen haben oft keine Hoffnung mehr auf eine bessere Zukunft. Wir reden mit ihnen, manchmal trinken wir auch nur einen Kaffee oder Tee zusammen. Sie fühlen sich schon leichter, sie spüren, dass jemand da ist, dass sie mit ihrem Leid nicht mehr allein sind.

Das ukrainische Volk ist sehr dankbar für die Unterstützung, die sie erhalten. Ich weiß nicht, was als Nächstes passieren wird.

Ich weiß nicht, wann der Zeitpunkt kommen wird, an dem Russland aufhören wird, die Ukraine zu bombardieren. Aber eines weiß ich sicher: Gott ist mit uns, mit unserem Volk, und dafür danke ich Ihm.“

Maria Śleziak SSpS

Beide Schwestern danken allen, die für sie und die Menschen in der Ukraine beten, und sie mit finanziellen Mitteln unterstützen.

 

Missionsprokur SSpS

  • Die Steyler Weggemeinschaft übernehmt die Kosten für Heizung und Miete für eine katholische Schule in ihrer Notunterkunft in Chmelnyzkyj.
  • Einiges Material für ein Schwerpunkt-Krankenhaus wird finanziert. Das orthopädische Spital in Wien-Speising unterstützt uns dabei.
  • Hilfsangebote für Familien werden unterstützt,
  • Programme für Kinder und Jugendliche, die ihnen helfen, Ängste und schmerzliche Erfahrungen aufzuarbeiten und ein halbwegs normales Leben zu führen, werden gefördert.
  • Auch in Russland helfen unsere Schwestern vielen Kindern und Familien.
  • Friedensarbeit ist sehr wichtig. Hass, Fehlinformation und Vorurteile sollen nicht die Herzen der jungen Menschen vergiften, vielmehr der Einsatz für Wahrheit und Gerechtigkeit und die Bereitschaft zur Versöhnung.